Von Zoltan Lörincz

Erwin Birnmeyer starb am 5. November 2015 im Krankenhaus von Oberwart in seinem 89. Lebensjahr. Am 15. März 2016 wäre er 90 Jahre alt gewesen. Er wurde in München in einer Familie der beruflichen Pädagogik und Kunst geboren. Sein Vater war ebenso Lehrer des Gymnasiums von Kaufbeuren wie Erwin. Seine Eltern hofften, dass der musikalisch begabte Sohn Pianist werden würde. Doch Erwin wurde im Jahre 1944 gleich nach seiner Matura zum Militärdienst einberufen. Doch schon bald war er Kriegsgefangener und wurde von den Sowjets unter unmenschlichen Bedingungen interniert. Ein halbes Jahrzehnt wurde er im Internierungslager geschunden und musste in einem Steinbruch arbeiten. Seine Hände litten – die Finger wurden klamm und die Gelenke steif. So musste er nach seiner Freilassung das Klavierspiel völlig aufgeben.
Doch noch im Sowjetlager widmete er sich seiner anderen großen Liebe: der bildenden Kunst. Mittels Kollagen dokumentierte er eindrucksvoll und ergreifend das schreckliche Leben im Steinbruch – zuerst mittels Papierstücken und Fetzen, die er von den Bewachern organisierte und später auf Holzbrettern. Die Farben, die Komposition und die dramatischen Charaktere dieser Darstellungen sind bewundernswert. Das Stadtmuseum von Kaufbeuren stellte diese Arbeiten im Juli 2013 vor, und mir war die Ehre gegeben, sie mit dem Titel „Stein auf Stein“ zu eröffnen. Sie bilden nun einen Teil der Museumssammlung und waren ein Geschenk des Künstlers.
Dieses Konvolut ist nicht nur als visuelle Dokumentation der deutschen Geschichte wertvoll, sondern dokumentiert auch die Lebensgeschichte und Erfahrungen des Künstlers.
Den Spuren seines Vaters folgend, studierte er dann in den Jahren 1950–1954 an der Akademie der Bildenden Künste in München bei dem weltberühmten Hans Sedlmayr (mit ungarischen Wurzeln) Kunstgeschichte, sowie Malerei und Kunstpädagogik. Er war auch Gaststudent in Florenz, Rom und Mailand. Von 1956 an wirkte er in Athen, wo er im deutschen Gymnasium Kunst und Musik unterrichtete und hörte Archäologie an der Universität und lernte Neugriechisch. 1958 wirkte er als Lehrer des deutschen Gymnasiums in Istanbul und war zugleich Gastprofessor der Universität und las in türkischer Sprache Kunstgeschichte. 1963 kehrte er zurück nach Bayern und gemäß dem Erbe seines Vaters, war er dann Lehrer am Gymnasiums Kaufbeuren. Dies bis zu seiner Pensionierung 1986. Er wurde zum Forschungsprofessor ernannt, hielt zahlreiche Vorträge im In- und Ausland und wurde zu Ausstellungen eingeladen. Er verfasste das kunstpädagogische Programm der bayrischen Gymnasien und im Jahre 1987 wurde er von der Stadt Kaufbeuren ausgezeichnet.
Die Pensionierung gab ihm dann die Möglichkeit, sein Leben völlig der Kunst zu widmen. Er verfasste zahlreiche Studien über die Verzahnung der Kunst mit Politik, Ästhetik und Gesellschaft. In den Jahren 1995–97 wurde er zum Direktor des „Hauses der Kunst“ in Kaufbeuren berufen. Zwischen 1997 und 1999 kuratierte er als Leiter der Kunstakademie von Kaufbeuren zahlreiche Ausstellungen im Ausland. So erhielt eine große Zahl von Auszeichnungen, darunter war auch die Auszeichnung der Stadt Kőszeg. Im Jahre 2000 verlegte er seinen Lebensbereich nach Balatonalmádi und zwei Jahre später zog er nach Kőszeg. Von 2005 bis 2009 war er Vize-Präsident des Kunstvereins Kőszeg. Im Jahre 2010 waren die Städte Pécs und Istanbul die Kulturhauptstädte Europas und das war der Impuls zu einer einzigartigen Ausstellung in Europa: „Istanbul, Aussicht von meinem Fenster“ mit Bildern von Erwin Birnmeyer und Beschreibungen (in ungarischer und deutscher Sprache) des Schriftstellers Orhan Pamuk, Nobelpreisträger des Jahres 2006. Erwin Birnmeyer wohnte damals im selben Stadtviertel wie der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete.
Diese zeitgenössisch ästhetischen und literarischen Reflexionen dieser herrlichen Stadt waren beeindruckend. Sie waren das, was der römische Dichter Horaz (65–8 v.Chr) als: „Ut pictura poesis” bezeichnete.
Die Zusammenfassung und der Abschied seines Lebenswerkes war seine abstrakte Ausstellung am 21. Februar dieses Jahres (2016) im Rittersaal der Burg von Kőszeg. Ausschlaggebend war dabei der Input durch das Werk den Malers László Bartha (1902–1998), der ihn durch seine Abstrahierungen begeisterte.
Anstoß war die Gedächtnisausstellung „László Bartha“, die im Jahr 2008 im Kunsthaus Köszeg stattfand. Dessen Malerei war für Erwin Birmeyer ein gar wichtiger Impuls. So entwickelte dieser in Köszeg in wenigen Jahren einen individuell abstrakten Expressionismus, wie er nur wenigen großen Künstlern Europas geglückt ist.
Ich bin dankbar, dass ich diese Ausstellung eröffnen konnte. Péter Trifusz, ein weiterer Verehrer des Künstlers, war Kurator und Leiter der Ausstellung.
Nachdem der Künstler die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens in Ungarn verbracht hatte und seine abstrakte Kunstrichtung in Kőszeg entwickelte, können wir festshalten, dass sein Lebenswerk nicht nur ein Teil der deutschen, sondern auch der ungarischen Kunstgeschichte wurde.

Deshalb sollte er eine würdige Ehre in dem von mir erträumten „Pantheon von Kőszeg” bekommen.
Gott sei mit Dir, Erwin!

Prof. Dr. Zoltán Lőrincz, Kunsthistoriker, Universitätsprofessor und Präsident des Kőszeger Kunstvereins